Spirituelle Wege

Einstmals lebte in Shravasti in Nordindien ein gewisser König. Der gebot seinem Diener: "Lasse alle Blindgeborenen der Stadt an einem Ort zusammen kommen." Als dies geschehen war, ließ er den Blindgeborenen einen Elefanten vorführen. Die einen ließ er den Kopf betasten, mit den Worten: "So ist ein Elefant", andere das Ohr oder den Stoßzahn, den Rüssel den Rumpf, den Fuß, das Hinterteil, den Schwanz, die Schwanzhaare. Dann fragte er: Wie ist ein Elefant beschaffen?" Da sagten die, welche den Kopf die betastet hatten, "er ist wie ein Topf", die das Ohr betastet hatten, "wie ein geflochtener Korb zum Schwingen des Getreides", die den Stoßzahn betastet hatten, "wie eine Pflugstange", die den Rumpf betastet hatten, "wie ein Speicher", die den Fuß betastet hatten, "wie ein Pfeiler", die das Hinterteil betastet hatten, "wie ein Mörser", die den Schwanz betastet hatten, "wie eine Mörserkeule", die den Schwanz betastet hatten, "wie ein Besen". Und mit dem Rufe: "Der Elefant ist so und nicht so", schlugen sie sich gegenseitig mit den Fäusten zum Ergötzen des Königs.

Diese Parabel findet sich zuerst im buddhistischen Kanon (Udana 6,4). Buddha soll sie erzählt haben, um darzulegen, dass die Irrlehren seiner Zeit, die miteinander im Streit lagen, nicht die volle Wahrheit erkennen, sondern immer nur einen Teil davon. Diese Geschichte wurde immer weiter erzählt, sie findet sich heute in indischen Schulbüchern, und wurde sogar von den persischen Sufis angepasst.
Auf der Basis dieser Parabel wurde eine ganze Reihe philosophischer Diskurse geführt. Unbesehen ist: Der Mensch kann aufgrund Begrenztheit seiner Fähigkeiten immer nur einen Teil der ganzen Wahrheit erkennen, und er ist  abhängig von seiner eigenen Erfahrungswelt. Dazu neigt er, das Einzelne fälschlich zu verallgemeinern, wodurch durchaus Richtiges in eine falsche Perspektive gerät und ein falsches Gesamtbild entsteht. Er hält das, was er erkannt zu haben glaubt, für allgemeingültig und bekämpft andere Meinungen als falsch.
Daher ist es sinnlos, über Kulturen oder Religionen zu streiten: Gott ist EINS!

Gebete
Was eint dennoch alle Religionen und Kulturen? Überall und in allen Zeiten wurde/wird versucht mit dem "Unbekannten", "der Schöpfung"  Kontakt aufzunehmen. "Da ist etwas hinter der augenblicklichen Gegenwart." So entstanden schon in Zeiten, als es noch keine Religionen gab, Gebete, die originäre, ursprüngliche Sprache der Liebe, als eine instinktive Technik der Menschen.

Gebete verbinden. Sie lassen uns in unsere Ganzheit, Verbindung und Vollständigkeit eintreten. Sie erinnern uns an "Alles was ist", und dass wir selbst ein Teil davon sind. Sie sind die ultimative drahtlose Verbindung zu einer übergeordneten Instanz. Gebete strahlen die unendliche Energie aus, von dem, was wir selbst sind und tun. Und das gilt für alle Menschen, egal welcher Kultur oder Religion.

Wenn wir beten, geben wir die Kontrolle auf bzw. geben zu, dass wir eben nicht die Kontrolle über alles haben. Wir lassen zu, dass - das Licht - Gott - das Universum ... (siehe unten) ... etwas mit mir macht. Daher sind Gebete, die mit einer Bedingung verbunden sich, in dem Sinne gar keine. Mit dem "Alles was ist" können keine Geschäfte gemacht werden.

Zu wem wird gebetet:
zur unendlichen freien und bedingungslosen Liebe
zum Feld der unendlichen Möglichkeiten (Quantumfeld, Matrix)
zu Gott, in welcher Form und unter welchem Namen auch immer 
zu Gottes Helfern als Vermittler
zum "Alles was ist"
zu dem Ort oder der Energie, von der auch ich ein Teil bin
usw...

Ein ultimatives Gebet:
Lieber Gott, geliebtes ewiges Wesen, der Liebe und des Friedens, das ich selber bin (oder an wen du dein Gebet sonst immer richtest) 
hilf mir mich so zu lieben, wie ich bin,
hilf mir jeden Moment so zu lieben und akzeptieren, wie er gerade ist 
und hilf mir die Menschen, die mir begegnen so zu lieben, wie sie sind. AMEN!

Immer, wenn wir uns wieder einmal von allem getrennt, abgeschottet, verlassen fühlen, weil wir ím Bereich der Schuldzuweisungen und Urteile leben, brauchen wir ein Gebet, um uns wieder anzubinden, mit dem ultimativen Energiefeld zu verbinden, in die Matrix einzutreten, die uns mit allen anderen zusammenhält. Als solches sind Gebete Verbindungen zu der großen Energie, mit Gott. Und in diesem Sinne ist es auch sinnvoll, für andere mit zu beten, denn das stärkt die Verbindung.

"Wenn unser Leben ein Konglomerat aus Sorgen, Kritik, Urteilen, Kummer und Problemen ist, dann ist das Gebet der Weg, wieder Liebe, Schönheit und Ganzheit für mich und andere zurück zu bringen".

Die kraftvollsten Gebete sind Gebete der Dankbarkeit. 

Im Gebet spreche ich zu Gott, in der Meditation lausche ich auf seine Antworten. 



Unterschiedliche Wege kontemplativer und spiritueller Praxis
Nur intensive Formen spiritueller Disziplin können innere Durchbrüche erreichen. die einen echten Fortschritt auf dem spirituellen Weg bedeuten. Diese Erkenntnis, die es in spirituellen Traditionen gibt, unterscheidet zwischen echten, mystischen Prozessen und populärer Religion bzw. rein anbetender Spiritualität. 
Alle Formen spiritueller Praxis bewirken die innere Transformation. Das gilt sowohl für die kontemplativen Formen des Gebets als auch für die Meditation, das Lesen heiliger Texte, stille und aktive Teilnahme an Liturgien und Ritualen, es gilt für Musik und heilige Gesänge, Praktizieren von Yoga, bestimmten Tänzen und Kampfkünsten, genau wie für Wandern, meditatives Gehen - bis hin zu bewußt durchgeführten Tätigkeiten des Alltags. 
Spirituelle Praxis formt Denken und Verstehen, den Charakter, den Willen und die Persönlichkeit, sie lehrt Liebe und Mitgefühl.

Beispiele im Überblick
Lectio Divina - Tradition der katholischen Benediktiner seit ca. 1500 Jahren: "göttliches Lesen", entstanden aus dem Chorgebet, Texte werden nicht wegen des Inhalts gelesen sondern als Inspiration für die eigenen Gebete. Dazu gehören Zeiten der Reflexion und Kontemplation, die Stille, in der das Göttliche wirken kann. 
Aktive und passive Kontemplation - bei der empfänglichen Fom bleibt der Betende passiv und läßt die göttliche Gnade sich entfalten; die aktive, konzentrierte Form des Gebets erfordert ständiges Bemühen (Mantra-Meditationen, Rosenkranz-Beten, Christliche Meditationen als Mantra-Meditation, analog zu den Praktiken taoistischer, Sikh- oder Sufi-Meditationen; Christliches Zen, ohne den Glauben aufzugeben, praktizieren christliche Zenmeister "Zazen" als ihre Form der Meditation und Kontamplation).
Zen-Buddhismus - japanische Form des Buddhismus, stark von der Naturmystik des Taoismus und dem chinesischen Ch´an Buddhismus inspiriert, konzentriert sich auf Zazen, meditatives Sitzen, und wird ergänzt durch die Koan-Praxis, Retreats, Gespräche mit dem Zen-Meister. (Koans sind Paradoxon, Rätsel, die auf eine andere Bewußtseinsebene führen sollten.) Zen ist eine strenge Form kontemplativer Praxis, eine langer, schwieriger, aber auch lohnender Weg.

Vipassana - Einsicht, Innensicht als weitere Form buddhistischer Meditation , beruht auf der inneren Beobachtung von geistigen Zuständen, Wahrnehmungen und Empfindungen während der Meditation bzw. als Meditation. Neben langen Meditationssitzungen gehört dazu auch meditatives Gehen und selbst alltägliche Tätigkeiten dienen der meditativen Praxis (Gartenarbeit).

Tibetanisch-Buddhistische Meditation - enthält viele Facetten. Auf ihrer Tradition beruhen viele Visualisierungstechniken, die hier dazu dienen sollen, innere Kanäle zu öffnen und Fähigkeiten zu akivieren, die Mitgefühl und Vergebung bewirken können. Es wird eine Gottheit oder ein Bodhisattva visualisiert, der die gewünschten Fähigkeiten verkörpert (siehe auch Tara). Eine weitere Meditationspraxis lehrt, sich im Sterbeprozess voll bewußt zu sein (Tibetanisches Totenbuch)
Himmelsmeditation (Dzogchen) - lehrt, dass das Bewußtsein weit und unbegrenzt wie der Himmel ist.
Transzendale Meditation - Mantra-Meditation, aus der hinduistischen Tradition hervorgegangen
Yoga, Kampfkünste, Tai Chi und Qui Gong als aktive Formen spiritueller Praxis, die alle auch kontemplative und meditative Dimensionen enthalten können.
Messe, Liturgie und konventionelles Gebet - Formen, die zu kontemplativen Erfahrungen führen können, die zur Selbstüberwindung und zur Aufnahme des Göttlichen führen können- das hat für Heilige aller Traditionen und Zeitalter funktioniert.
Gesänge, Chanten, Tänze - können zu ekstatischen Bewußtseinszuständen führen. Durch Gregorianische Gesänge z.B. kann es zum "Hineinziehen ins Göttliche" kommen. In Indien chanten viele Menschen bhajans, populäre Lieder, die in einem religiösen Kontext gesungen werden und bis zur Ekstase führen können. In Tempeln und Ashrams werden oft nächtelang dasselbe bhajan gesungen.
Auch der heilige Franz von Assisi wurde von der Geigenmusik eines Engels "verzaubert" und geriet in ekstatische Bewußtseinszustände.

Auch Tänze sind Formen, die zu radikal transformierenden Zuständen führen können. Tanz ist eine uralte Form spiritueller Praxis mit mystischen und rituellen, sogar liturgischen Ansätzen. Ein Tanz kann einen, integrativ wirken, zu Kontemplation, Freude und Seligkeit führen. 

Im Sufismus, dem Islamischen Mystizismus,  tanzen sich die wirbelnden Derwische in die Einheit mit Gott.


Auch in vielen anderen Ländern und Kulturen der Erde werden volkstümliche Formen der Spiritualität mit ekstatisch rhythmischen Tänzen praktiziert.